Arbeitskreis therapeutische Wohngruppen Berlin Therapeutische Jugendwohngruppen Berlin
Arbeitskreis der therapeutischen Jugendwohngruppen Berlin (AK TWG)          1. 10. 2008
Wolfgang Merda (Wuhletal gGmbH), Claus-Peter Rosemeier (PFH, Koralle-TWG)
  • Der Arbeitskreis der therapeutischen Jugendwohngruppen Berlin (AK TWG) besteht seit 1999. Der AK TWG ist ein Zusammenschluss von 10 Trägern der Berliner Jugendhilfe, die zusammen ca. 160 Plätze in der stationären Jugendhilfe für Jugendliche und junge Erwachsene (zwischen 12 und 21 Jahren) anbieten. Die einzelnen Träger bieten darüber hinaus unterschiedliche, vielfältige Einrichtungen und Hilfen sowohl im Rahmen der Jugendhilfe als auch im Bereich der komplementären psychiatrischen Versorgung an.
  • Die versorgte Klientel besteht zum weitaus überwiegenden Teil aus jungen Menschen, die psychiatrisch und/oder psychotherapeutisch, stationär/teilstationär und/oder ambulant behandelt wurden und weiterhin werden. Der größte Teil der Jugendlichen wird im Anschluß an eine stationäre jugendpsychiatrische Behandlung/Versorgung in einer der Therapeutischen Wohngruppen aufgenommen.
  • Strukturell, organisatorisch und finanziell sind die Therapeutischen Wohngruppen Teil der Jugendhilfe. Faktisch erfüllen sie für die spezifische Klientel über die Jugendhilfe-Aufgaben hinaus zugleich wesentliche Aufgaben innerhalb der komplementären kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung. Für diese Jugendlichen gibt es außerhalb der Kliniken in Berlin kein stationäres Angebot.
  • Die Kooperation zwischen Kliniken und TWG funktioniert einzelfallbezogen gesehen generell relativ gut. Probleme tauchen an folgenden Stellen auf:
    - Die Entlassungen aus der Klinik erfolgen häufig unter erheblichem Zeitdruck. Die zeitlich frühere Einleitung einer Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und der TWG würde den fachlich gesicherten Übergang erleichtern.
    - In Krisensituationen von Jugendlichen in der TWG ist es bisweilen schwierig in der regional zuständigen Klinik einen Platz zur Krisenintervention zu bekommen. Der Hintergrund ist einerseits die genannte Überbelegung der Stationen, z.T. aber auch nach wie vor Vorurteile bzgl. der kompetenten Einschätzung der Situation durch die TWA-MitarbeiterInnen.
    - Gelegentlich werden Klienten in der Notaufnahme einer Klinik abgewiesen, weil der fachlichen Einschätzung einer suizidalen Gefährdung oder Fremdgefährdung durch die TWG nicht geglaubt wird.
    - Im Einzelfall entstehen Probleme an der Stelle wechselnder Ansprechpartner und unklarer Vermittlung von Absprachen in der Klinik, später Übermittlung von Epikrisen und bisweilen mangelnder fachlicher Anerkennung der TWG-Arbeit in der Klinik.

    Nötig erscheint eine strukturelle Verankerung von fallübergreifenden Kooperations-möglichkeiten (Qualitätssicherung, Evaluation, gemeinsames Fallverständnis, Weiterentwicklung von gemeinsamen Behandlungs-/ Versorgungsstrukturen). Dazu bedarf es personeller, zeitlicher und materieller Ressourcen auch in den Kliniken.

  • Aus Sicht der TWGen wird deutlich, dass die Stationen der Kinder- und Jugendpsychiatrie meist durchgehend voll belegt oder überbelegt sind. Die meisten Stationen sind (auftragsgemäß) mit der Krisen-/Notfall- und Regelversorgung vollständig ausgelastet. In Berlin gibt es nur wenige Plätze für die mittel- bis längerfristige stationäre/teilstationäre psychotherapeutische Behandlung von Jugendlichen. Häufig müssen Jugendliche in Kliniken außerhalb Berlins vermittelt werden. Das ist in einer erheblichen Anzahl von Fällen Aufgabe und Tätigkeit der Betreuer in den Therapeutischen Wohngruppen.
  • Aus unserer fachlichen Sicht ist es sinnvoll gemeinsame Behandlungs- und Betreuungskonzepte zwischen Kliniken und TWG zu entwickeln. Insbesondere eine konzeptionell erarbeitete, verzahnte Behandlung/Betreuung von Tagesklinik und TWG, die auf grundsätzlicher fachlich gleichberechtigter Anerkennung beruht, würde ungenutzte Ressourcen erschließen und letztlich insgesamt Kosten reduzieren. Stationär ist damit z.B. gemeint, kurzfristige Krisenaufnahmen in der Klinik und schnellstmögliche Rückkehr in die TWG als sich u.U. wiederholende Schritte eines gemeinsamen Behandlungs-/Betreuungsprozesses zu verstehen.
  • Die im Sinne gemeinsamer Behandlung/Betreuung notwendige Zusammenarbeit mit niedergelassenen Jugendpsychiatern und niedergelassenen Psychotherapeuten funktioniert einzelfallbezogen gesehen generell relativ gut. Aber: - Ebenso wie die Klinikambulanzen sind die niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater überbelastet und können zeit- und bedarfsnah nicht genügend Behandlungszeit zur Verfügung stellen.
    - Mehr als 40 % der TWG-Klientel wird auch längerfristig mit Psychopharmaka behandelt. Um eine gute gemeinsame Behandlung zu gewährleisten, müssen verbindliche Kooperationsformen bzw. Qualitätsstandards entwickelt werden.
    - Die fachliche und organisatorisch-finanzielle Schwierigkeit der ambulanten Psychotherapie mit Jugendlichen/jungen Erwachsenen ist bekannt. Es ist äußerst schwierig genügend Behandlungsplätze bei Kinder- und Jugendpsychotherapeuten für die betreffende (häufig schwer gestörte) Klientel zu finden.
  • In der alltäglichen Praxis wird deutlich, dass es im Bereich der schulischen/berufs-vorbereitenden/ berufsbildenden Versorgung der spezifischen Klientel Lücken und Defizite gibt. Nach der Entlassung aus der Klinik/Tagesklinik steht für einen Teil der Jugendlichen keine adäquate schulische/berufsvorbereitende Struktur zur Verfügung.
  • Der Wechsel der Zuständigkeit der Versorgungs- und Finanzierungssysteme (vor allem auch in der psychiatrischen Versorgung) mit dem 18 Lebensjahr führt in vielen Fällen zu dysfunktionalen Ergebnissen und unnötig komplizierten Verläufen. Aus fachlicher Sicht sollte es bei der betroffenen Klientel (je nach Einzelfall) möglich sein, eine durchgehende Betreuung/Behandlung unabhängig von dieser formalen Altersgrenze zu organisieren und sicher zu stellen.
  • Ein zentraler Punkt für die Weiterentwicklung der kooperativen und vernetzten Angebotsstrukturen ist die Frage der gemischten Finanzierung aus den unterschiedlichen Systemen. Die starre Abgrenzung zwischen Jugendhilfe, schulischer Förderung, Sozialhilfe und Krankenkasse ist, wenn man aus fachlich inhaltlichen Gründen von einer gemeinsamen Behandlung/Betreuung ausgeht und eine durchgehende Betreuungs-/Behandlungskette entwickeln will, nicht sinnvoll. Konkret wäre es z.B. sehr wirkungsvoll und effizient eine konsiliarische jugendpsychiatrische Betreuung der TWGen als generelles Angebot für die jeweilige Wohngruppe über eine Finanzierung als Kassenleistung sicher zu stellen.
  • Perspektivisch ist unübersehbar, dass die Versorgung, Behandlung und Betreuung von massiv gewalttätig agierenden Jugendlichen/jungen Erwachsenen auch im vernetzten System von Psychiatrie und Jugendhilfe nicht gelöst ist. Gleiches gilt für die psychiatrische Versorgung, Behandlung und Betreuung von Jugendlichen/jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund. In der konkreten fachlichen Auseinander-setzung wird deutlich, dass auch hier Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe (und Polizei/Justiz) gemeinsam an Konzepten und Angeboten arbeiten müssen.
1 Laut einer von Prof. Dr. Hennicke 2007 gemeinsam mit den TWGen durchgeführten Studie, haben ca. 80 % der durch die TWGen betreuten Jugendlichen psychiatrische Diagnosen mit erheblicher Komorbität (40 % der Jugendlichen haben mehr als 2 Diagnosen). Die Psychopharmakaprävalenz liegt bei 40 %.